Angelique, was bedeutet es für Sie, ein Social Business zu führen, ein Unternehmen, das sich im Besitz von Bauernkollektiven befindet?
Das bedeutet für mich vor allem, ein sehr komplexes und kompliziertes Unternehmen zu führen. Die Menschen investieren gemeinsam ihre ganze Arbeitskraft, um ihr Produkt herzustellen und müssen dann auf ihr Einkommen aus der Vermarktung und dem Verkauf dieses Produkts warten. Das ist nicht einfach. Die Struktur ist anders als bei einem reinen Wirtschaftsunternehmen, und auch anders, als das, was ein Einzelunternehmer tun muss. Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, dass es Geduld, Belastbarkeit, unterschiedliche Fähigkeiten und viel Einfühlungsvermögen erfordert, um das zu organisieren und die Interaktion zwischen Erzeugern und Markt zu balancieren. Aber auch wenn es uns viel abverlangt, ist es der einzige Weg, um die Kaffeebranche für alle Akteure in der Wertschöpfungskette nachhaltig zu entwickeln.
Welche Veränderungen finden im globalen Geschäft mit Kaffeebohnen statt, die in diese Richtungen weisen und welche Rolle spielt dabei Ihr Unternehmen?
Was Kaffee normalerweise zu einem Geschäft macht, das vielen sozialen Werten nicht entspricht, ist die Tatsache, dass die Kaffeebäuerinnen und -bauern nicht in der Lage sind, den Preis des Produkts entsprechend den Produktionskosten festzulegen und stark von unkontrollierbaren Marktschwankungen betroffen sind. Gleichzeitig wird ein großer Teil des Gewinns erst nach der Herstellung abgeschöpft, auf weiteren Stufen der Wertschöpfungskette. Diese Situation begann sich zu verändern mit bestimmten Zertifizierungen, die mehr Fairness in das Geschäft brachten. Sie garantieren den Bäuerinnen und Bauern Mindestpreise und stellen sicher, dass der wirtschaftliche Erfolg ihnen und ihren Communities zugutekommt. Im Fall unseres Röstkaffees „Angelique's Finest Strong Women. Strong Coffee.“ gehen wir darüber noch hinaus. Wir sichern den Erzeugerinnen und ihre Genossenschaften stabile Preise und Absatzmärkte zu und sorgen dafür, dass sie von den Gewinnen direkt profitieren können.
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit Menschen und Unternehmen aus dem Globalen Norden? Wie bedeutsam sind die kulturellen Unterschiede?
Die kontinentübergreifende Zusammenarbeit war zu Beginn unserer Tätigkeit eine Herausforderung. Aber wir haben auf ein gemeinsames Ziel hingearbeitet und mit der Zeit wurde aus dieser Spannung ein gutes Modell, um voneinander zu lernen. Beide Seiten haben aus unterschiedlichen Erfahrungen gelernt. Vertrauen ist die tragende starke Säule unseres Projektes. Die Arbeit der Kaffee-Kooperative stützt sich auf unsere Arbeit, wir schaffen bei jedem Schritt Transparenz und Offenheit. Darauf stützen sich unsere Entscheidungen und die Suche nach Lösungen.
Gemeinsam mit der Kaffee-Kooperative haben Sie im Jahr 2023 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis für internationale Zusammenarbeit gewonnen. Welche Impulse haben Sie dadurch intern und extern setzen können?
Wir betrachten das als eine Anerkennung der Werte, für die wir stehen: Vertrauen, Professionalität, Beständigkeit, Teamarbeit und Innovation. Ein so renommierter internationaler Preis verbessert unsere Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit in der Kaffeebranche und hilft uns, sich von anderen Akteuren zu differenzieren.
Den Kaffeehandel neu denken und machen: gleichberechtig, fair und transparent!
Mit Angelique's Finest, Strong Women. Strong Coffee. vertreiben wir die erste Kaffeemarke
in Deutschland die komplett in der Hand der Produzentinnen liegt.
Xaver, was verstehen Sie unter Social Business und was ist nachhaltig an Ihrem Geschäftsmodell?
Die Rechtsform eines Social Business gibt es bislang leider nicht, auch wir sind deshalb als GmbH organisiert und müssen in diesem Rahmen agieren. Der große Unterschied liegt darin, dass klassische Unternehmen in erster Linie gewinnorientiert sind. Wenn man dagegen einen sozialen Zweck in den Mittelpunkt rückt, der mit kommerziellem Handeln erreicht werden soll, ändert das sehr viel.
Wir definieren Nachhaltigkeit als Fairness in der Wertschöpfungskette. Wir haben die Kaffee-Kooperative mit dem Ziel gegründet, die Bäuerinnen und Bauern in Ostafrika bei einem wirtschaftlichen Anbau zu unterstützen, die Einnahmen vor Ort zu steigern und eine Alternative zu dem aus unserer Sicht unfairen und nach wie vor stark von der Kolonialzeit geprägten Handelssystem aufzubauen. Natürlich spielt auch der Klimawandel im Kaffeesektor eine große Rolle. Er ist für eine Kaffeebäuerin ein konkretes, akutes Risiko. Dem kann sie allerdings ohne faire Bezahlung nicht begegnen. Ihre Probleme werden nicht schon dadurch gelöst, wenn auf globaler Ebene die Emissionen sinken würden.
Wie beeinflusst diese Haltung Ihre konkreten unternehmerischen Entscheidungen?
Wir waren von Anfang an kein klassisches Wirtschaftsunternehmen, sondern wollten mit der Kaffee-Kooperative den Kaffeehandel neu denken. Das basiert auf einigen zentralen Prinzipien: Zum Beispiel, dass alles, was möglich ist, im Herkunftsland gemacht wird, oder dass Produzent und Handelspartner immer auf Augenhöhe arbeiten. Konkret führt das dazu, dass wir zum Beispiel Gewinne nicht ausschütten, sondern reinvestieren. Oder dass für uns die Menge von Angelique’s Finest Kaffee wichtiger ist als die Marge pro kg, weil wir so eine größere Wirkung vor Ort erzielen. Aus rein unternehmerischer Perspektive wäre das kein guter KPI. Auch legen wir gemeinsam mit den Partnern vor Ort fest, welche Preise wir definieren, wie wir die Einnahmen zwischen Produzent und Händler aufteilen, oder wie wir die Zahlungsflüsse gestalten.
Wie anspruchsvoll ist es, diese sozialen Kriterien in den Vordergrund zu stellen und dennoch die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens zu sichern?
Das Vertrauensverhältnis, die offene Kommunikation und das gemeinsame Zielbild mit unserer Partnerorganisation RWASHOSCCO, die den Kaffee herstellt, macht das in der Praxis einfach. Wir können sehr schnell sein. Zum Beispiel einen Container auch mal verschiffen, ohne sich vorher über Konditionen final geeignet zu haben. Das beschleunigt alle Prozesse enorm und ist auch wirtschaftlich sinnvoll, weil man agil handeln und die typischen Prozessstörungen und Schnittstellenprobleme effizient umgehen kann. Ein weiterer großer Vorteil ist, dass mein Mitgründer, Allan Mubiru, permanent in den Herkunftsländern Ruanda und Uganda ist und daher die Kommunikationswege sehr kurz sind. Im Kaffeehandel spielen Termingeschäfte, Absicherungen, Finanzierungsfragen eine große Rolle und sind sehr komplex. Wir setzen auf gegenseitiges Vertrauen und Transparenz, um Probleme schnell und einfach zu lösen, ohne auf teure und aufwändige systemische Instrumente und Vermittler angewiesen zu sein.
Ist das Verständnis der Verbraucher für das Konzept der Lieferketten und das Bewusstsein für deren soziale und ökologische Aspekte gestiegen?
Ich glaube schon, dass das es inzwischen mehr Bewusstsein und Verständnis für die Struktur und Komplexität von Lieferketten gibt. Bei der Frage, ob konkrete Konsumentscheidungen dadurch tatsächlich beeinflusst werden, bin ich aber eher skeptisch. Man sieht zum Beispiel, dass seit Beginn Inflation die verkaufte Menge von Fairtrade-zertifiziertem Kaffee rückläufig ist. Wir sind noch nicht so weit, dass die nachhaltige Herstellung und Wirkung von Produkten ein wesentliches, ein selbstverständliches Entscheidungskriterium ist. Und wir sind noch nicht an dem Punkt, dass Fairness und Nachhaltigkeit eben keine Schönwetter-Themen sind.
Warum ist Kaffee so symbolträchtig und so präsent in den Diskussionen um Nachhaltigkeit und Fairness im globalen Handel?
Kaffee ist ein homogenes Produkt, das nur aus einer Zutat besteht. Entsprechend ist es relativ einfach, Missstände in der Lieferkette nachzuweisen. Andererseits greifen auch Verbesserungsmaßnahmen oft einfacher und schneller. In jedem Fall ist die Geschichte besser und verständlicher erzählbar als bei einem komplexen Produkt. Bereits ein T-Shirt besteht aus mehreren Komponenten, weist eine gewisse Komplexität in der Herstellung auf und verbindet mehrere Lieferketten. Das gilt erst recht für Hightech-Produkte.
Gleichzeitig zeigt Kaffee exemplarisch, wie stark internationale Warenflüsse noch immer von der kolonialen Vergangenheit geprägt sind. Kaffee ist außer in Äthiopien in Afrika nicht verankert. Es wurde dort, wo es gut wächst, in der Kolonialzeit eingeführt und bis heute gibt es bis auf Äthiopien in keinem der Anbauländer eine ausgeprägte Kaffeekultur und keinen relevanten lokalen Markt. Es gibt eine große Konzentration der Kaffeehändler im Globalen Norden, die den kolonialen Handel im Prinzip weiterführen. Diese Strukturen kann man verändern – aber dafür braucht es neue Player und neue Ansätze.
Was unterscheidet den Ansatz der Kaffee Kooperative von diesem traditionellen Handelsmodell?
Wir verkaufen den Kaffee, der komplett von den Bäuerinnen und Bauern hergestellt wird und denen auch die Marktrechte gehören: Angelique’s Finest, Strong Women. Strong Coffee ist also die Kaffeemarke der Produzentinnen aus Ostafrika. Die Produzentinnen verantworten den gesamten Herstellungsprozess: Anbau, Verarbeitung, Verschiffung, Röstung und Verpackung und wir handeln mit dem fertigen Produkt. Wir sind kein unersetzliches Element dieser Kette. Wenn wir morgen nicht mehr am Markt sind, oder machen unsere Sache nicht gut, können die ruandischen Bauernkooperativen einen neuen Vertriebspartner für ihre Kaffeemarke suchen. Bei vielen anderen Handelskonzepten haben die Produzenten keinen Markt mehr, wenn der Handelspartner wegfällt.
Wie ist Eure Erfahrung mit kulturellen Unterschieden und der Komplexität transkontinentaler Zusammenarbeit?
Ich glaube, der Schlüssel liegt darin, nicht immer Probleme zu sehen, die man lösen muss. Vielmehr sollte man die hervorragende Arbeit, die sehr oft vor Ort gemacht wird, zum Ausgangspunkt machen. Bevor wir dazukamen, wurde in Ruanda bereits ein sehr, sehr guter Kaffee geröstet und hergestellt. Für uns ging es deshalb darum zu verstehen, was in der Wertschöpfungskette fehlt, damit diese Arbeit auch eine faire Bezahlung bekommt. Das impliziert auch, die eigene Rolle zu kennen, Vertrauen und gemeinsame Ziele zu haben und sich nicht in alles einzumischen. Dinge werden vor Ort oft anders gemacht als in Europa. Aber die Lösungen sind da. Es geht darum, sie zu stärken und skalierbar zu machen.
Auch die Bedeutung des Vertrauens kann man nicht oft genug betonen. Davon haben wir von unseren Partnern in Afrika sehr viel erfahren. Zu Beginn wussten wir nichts über Kaffee, wir waren ganz klar die Junior-Partner des Projekts. Die Kaffee Kooperativen vor Ort haben uns den Kaffee quasi umsonst gegeben, sie haben den Marktaufbau in Deutschland de facto vorfinanziert. Das Afrikabild in weiten Teilen in Europa ist nach wie vor von Armut und Stagnation geprägt. Dabei gibt es unheimlich viele innovative, dynamische Prozesse und Potenzial. Auch deshalb war unser Marketing von Anfang an darauf ausgerichtet zu zeigen, welche Arbeit vor Ort gemacht und was für ein hervorragendes Produkt hergestellt wird.
In Deutschland fangen viele Initiativen frühzeitig an, dann kommt der Motor ins Stottern. Wo sehen Sie die Gründe dafür und wo die Unterschiede zu den Ländern Afrikas in denen Sie unterwegs seid?
Es gibt sehr viele bürokratische Hürden und die Tendenz, alles kleinteilig ausdifferenzieren und festlegen zu wollen. Das ist kein guter Ansatz, um bei einem neuen Thema Fahrt aufzunehmen. Dadurch wird der Blick auf die anstehende Transformation negativ, als wäre sie ein Problem, das gelöst werden muss, statt einer Chance, die genutzt werden kann. Ein Momentum kann man so nur schwerlich erzeugen.
In Ostafrika herrschen ganz andere Ausgangsbedingungen. Die Herausforderungen liegen eher darin, dass wichtige Strukturen fehlen, seien es Straßen, ein funktionierendes Bankwesen oder der Zugang zu Bildung und internationalen Märkten. Institutionelle Netze sind nicht so eng gewoben und stabil wie in Europa, die Maschen müssen durch Eigeninitiativen ausgefüllt werden. In der Wirtschaft gibt es nicht viele gute Angestelltenjobs. Es gibt deshalb eine hohe Bereitschaft zum Entrepreneurship und viel Erfindungsreichtum, es wird schnell Neues ausprobiert. So bin ich immer wieder beeindruckt von dem Innovationsgeist in der Landwirtschaft. Da wird heute viel investiert, man kombiniert traditionelle Praktiken mit modernen Prozessen, nutzt vor Ort entwickelte Apps. Da sehe ich eine Riesendynamik.
Was hat die Auszeichnung mit dem DNP für internationale Zusammenarbeit für Euch und Eure Partner in Afrika bewirkt?
Eine so bedeutende Auszeichnung zu erhalten, zu sehen, dass die Arbeit vor Ort gewürdigt wird, war für unsere ruandischen Partner ein starker Motivationsschub. Es gab sehr viele positive Rückmeldungen im Land und das Beispiel spielt immer wieder eine Rolle bei Konferenzen und Branchentreffen. Und auch für uns war diese Anerkennung sehr wichtig und hat uns geholfen, neue Partner vor Ort kennenzulernen. Auch die Konferenz haben wir als eine tolle Möglichkeit erlebt, wertvolle Gespräche zu führen, neue Kontakte zu knüpfen, unsere Reichweite zu steigern und mehr Gehör für ein alternatives Modell im Kaffeehandel zu finden
Welchen Wunsch hast Du für die künftige Entwicklung des DNP?
Den Fokus auf die Bedeutung der Transformation halten. Nachhaltigkeit sollte nicht als Problem gedacht werden, das wir lösen müssen. Wir brauchen nicht eine lineare Veränderung, ein „mehr“ an Nachhaltigkeit in den Strukturen. Wir brauchen einen Strukturumbau. Und darin liegen riesige Chancen, Dinge neu und zukunftsweisend zu gestalten.