Kassensterben, Pflegemangel – das Gesundheitswesen sorgt immer häufiger für negative Schlagzeilen. Lange Zeit war es üblich, das deutsche Gesundheitswesen zu den besten der Welt zu zählen. Gilt das noch?
Wir haben sehr gute Versorgungsstrukturen, Zugang zu medizinischem Fortschritt und engagierte, kompetente Menschen, die in verschiedensten Berufen für uns da sind. Aber bleibt das so? Bei einer Umfrage der Robert-Bosch-Stiftung 2023 gaben fast 60 Prozent der Deutschen an, kaum in die Fähigkeit der Politik zu haben, für eine hochwertige und bezahlbare Gesundheitsversorgung zu sorgen. 2020 waren es noch 30 Prozent. Immer mehr Menschen erleben, dass das System an seine Grenzen kommt. Denn unser Gesundheitswesen ist nicht nachhaltig. Wir stehen vor nie dagewesenen Finanzlücken, immer drängenderem Personalmangel und einem Verbrauch von natürlichen Ressourcen, der in den letzten 30 Jahren um 80 % gestiegen ist.

Woran liegt’s?
Chronifizierungsdilemma: Wir leben länger. Mit Krankheiten, an denen man früher vorzeitig verstorben ist, kann man heute sehr alt werden. Wir leben aber auch mehr Jahre in Krankheit und die Alterung der Gesellschaft erreicht demnächst ihren Höhepunkt. Die Folge ist ein stetig steigender Bedarf an medizinischer Behandlung, der gedeckt werden muss.
Nachhaltigkeitsdilemma: Das Finanzierungs- und Vergütungssystem im Gesundheitswesen belohnt wirtschaftliche getriebene, kurzfristige Entscheidungen. Es gibt keine langfristigen Anreize für Prävention und Gesundheitsförderung, Geld verdient wird mit möglichst viel Behandlung.
Steuerungsdilemma: Wir geben im Vergleich mit anderen Ländern Westeuropas sehr viel Geld aus und haben überdurchschnittlich viele Fachkräfte. Trotzdem erzielen wir unterdurchschnittliche Ergebnisse, wenn es darum geht, gesunde Jahre für unsere Bevölkerung zu schaffen. An vielen Stellen erleben wir zunehmend echten Mangel. Täglich werden wertvolle finanzielle, personelle und ökologische Ressourcen unnötig verbraucht, weil es an Steuerung fehlt.

Geschäftsführerin Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen
Was müssen wir tun?
Bedarf an Gesundheitsdienstleitungen reduzieren: Eine politische Neuausrichtung des Gesundheitssystems muss Prävention und Gesundheitsförderung priorisieren, und einen besseren Umgang mit den großen chronischen Erkrankungen fördern.
Angebot und Nachfrage von Gesundheitsdienstleistungen in Einklang bringen: Primärversorgung und Pflege müssen gestärkt, bedarfsgerechte Versorgungsangebote geschaffen und mehr Steuerung im System etabliert werden.
Ökologische Wende im Gesundheitswesen verankern: Klimaschutz und Klimaanpassung müssen auch im Gesundheitssystem etabliert werden. Und zwar nicht am Rand, sondern direkt integriert in die großen Strukturreformen.
Im Moment wird das System den Herausforderungen, vor denen es steht, noch nicht gerecht. Aber viele Akteure sind auf den Weg.
Mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Gesundheit bieten wir Leuchttürmen der Nachhaltigkeit eine Bühne, fördern Austausch und Vernetzung. Damit wir in Zukunft wieder von einem der besten Gesundheitssysteme der Welt sprechen.
Fotos
© Dariusz Misztal: Dr. Eckart von Hirschhausen (GEGM) und Professor Dr. Christoph Straub (BARMER) bei der Verleihung des DNP Gesundheit 2024
© Dominik Butzmann: Kerstin Blum und Dr. Eckart von Hirschhausen