Die geopolitische Ordnung verschiebt sich rasant. Nachhaltigkeit und Klimaschutz stehen unter Druck. Geopolitik scheint das nachhaltige Wirtschaften als Spielerei zurückzustellen. Das ist ein fataler Irrtum. Geopolitik fängt überhaupt erst mit Nachhaltigkeitszielen an.
Ich verstehe es, wenn so manches Unternehmen und so manche Zeitgenossen den Kopf einziehen und kleinere Brötchen backen wollen. Auf manchen Schultern lastet enormer Druck, wenn Lieferketten von Zöllen und Exportkontrollen durchlöchert werden oder wenn man unversehens ins Zielkreuz aggressiver Handelspolitik gerät. Taktisches Manövrieren ist manchmal angesagt, ebenso wie das kreative Finden von Alternativen.
Aber das Bad mit dem Kind auszuschütten, ist keine gute Idee. Klimaziele aufzukündigen, Nachhaltigkeitsreporting, Grenzausgleich und Lieferkettensorgfalt radikal zu beschneiden oder ganz abzuschaffen, ist eine Panik-Reaktion, die niemandem guttut. Wo die überschießende Regulation korrigiert werden muss, muss eben korrigiert werden. Mit der Laubsäge, nicht mit der Kettensäge. Und im Übrigen gilt es, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen.
Schon die Rio-Konferenz 1992 verstand Nachhaltigkeit als Teil von Geopolitik. Sie prägte dafür den Begriff Erdpolitik – als gemeinsamen Auftrag zur Verantwortung. Diese Idee gilt es neu zu beleben. Denn die Herausforderungen der Menschheit lassen sich nur gemeinsam lösen. Klarer Wille, Kurs halten, Partner finden – das ist der Schlüssel, um die Abwärtsspirale aus Angst, Rückschritt und Resignation zu überwinden.
Ohnehin: Die fundamentalen Trends bleiben. Wegschauen hilft nicht gegen die globale Erwärmung, die Biodiversitätskrise, die Ressourcenknappheit, gegen die demografischen Basisgrößen in Asien, Afrika und Europa und gegen die planetare Überlastung. Ignoranz ist auto-aggressiv. Denn wer Nachhaltigkeit jetzt relativiert, schwächt die eigene Handlungsfähigkeit.

„Nachhaltigkeit war nie nur ein moralsemantischer Goldstaub, sondern immer schon der strategische Ernstfall.“
Der Multilateralismus steht vor einer Renaissance, aber gewandelt
Der Multilateralismus lebt – zwar unter Mühen, aber allen Hindernissen (und es gibt viele, externe wie selbst gemachte) zum Trotz durchaus wirkungsvoll. Das bezeugen die jüngst vereinbarten Fortschritte zur Ozeanpolitik, zur Fischerei, zur globalen Gesundheit und zur Entwicklungsfinanzierung. Erstmals sind rund 50 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen durch das Pariser Klimaabkommen abgedeckt. Auch der große Emittent China legt neue Ziele vor und nähert sich erstmalig dem Ziel-Korridor der Industrieländer an. Über 400 freiwillige Länderberichte zur Agenda 2030 belegen die Tragfähigkeit multilateral vereinbarter Prozesse. Nachhaltiges Handeln ist ein geopolitischer Faktor.
Aber mehr ist nötig. Die Verantwortung für planetare Grenzen funktioniert nur durch gemeinsames oder mindestens mehrheitliches Handeln. Dafür müssen die Vereinten Nationen die Binnenreform ihrer Behörden vollenden. Die Staatenallianzen in Asien und Afrika müssen konstruktiv interpretiert werden Sie sind keine Hebel gegen den Multilateralismus. Staatenbündnisse, die ohne den alten Westen entstehen, sind nicht per se anti-westlich. Sie sind erst einmal schlicht nicht-westlich und Teil einer Welt mit verschiedenen Kraftpolen, von denen Europa auch einer ist, wenngleich nicht der kräftigste. Nötig ist auch ein neues Gespräch zwischen der Politik und den fortgeschrittenen Unternehmen des nachhaltigen Wirtschaftens. Das ist überfällig.
Die multipolare und lernfähige Kooperation bietet auch für die Mittelmacht mehr Chancen als wahrgenommen, die Transformation zum nachhaltigen Wirtschaften voranzubringen und nützlich zu machen.
„Der Multilateralismus steht vor einer Renaissance – als lernfähige Kooperation bei unterschiedlichen Interessen.“
– Günther Bachmann
Die Richtschnur allen Wirtschaftens sollte sein, Produkte und Technologien zu entwickelt und zu skalieren, die global anwendungsfähig und fehlerfreundlich sind, worauf bereits Klaus Töpfer immer hinwies. Das gilt insbesondere auch für die Transformation und für das nachhaltige Wirtschaften in jenen Feldern, wo Deutschland die Technologieentwicklung zur Transformation anführt, wie zum Beispiel in der Elektrolyse und in der grün/blauen Wasserstoffwirtschaft.
Transformation oder Industriemuseum
Diese Technologieführerschaft muss so auf den weiteren Weg gebracht werden, dass sie die industrielle Transformation systemisch normalisiert und günstige Preise ermöglicht. Im Grunde gilt das analog auch für grünen Stahl, die Bio-Chemie, das nachhaltige Bauen, Fermentation und Biotechnologie, die Erneuerbaren Energien, die Zirkularität. Die ambitionierten UN-Nachhaltigkeitsziele sind eine Anleitung für diesen Weg, in den insbesondere deutsche Unternehmen viel investiert haben. Wer diesen Weg unter einen vorschnellen und wohlfeilen Idealismus-Verdacht stellt, der verpasst die Modernisierung. Wer diesen Weg jetzt nicht weiter beschreitet, den führt das direkt ins Industriemuseum.
Einverstanden, das ist leichter gesagt als getan. Das zentrale Manko ist die fehlende respektive oft wankelmütige Führung durch politische und wirtschaftspolitische Top-Entscheider.
Wo bleibt Europas extraterritoriale Souveränität?
Als Exportwirtschaft hat Deutschland klare geoökonomische Interessen, aber erstaunlicherweise keine nennenswerte Geopolitik. Der Begriff Geopolitik hat im Deutschen einen schlechten Ruf, während seine einstige Hochburg, die transatlantische Bindung, dahinschwindet. Die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie blendet den Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Außenwirtschaft völlig aus. Die USA und China betreiben eine Politik der extraterritorialen Souveränität, deren Zölle und Exportkontrolle erheblichen Druck auf die Souveränität Europas entfalten. Europa begnügt sich dagegen mit Appeasement.

Europas exterritoriale Souveränität
In den Unternehmen fühlen sich NachhaltigkeitsmanagerInnen vielfach als Opfer dieses geopolitischen Drucks. In der Politik hat Nachhaltigkeit kaum mehr hörbare Stimmen. Nachhaltigkeit wird abgehängt und als selbstgefälliger Spielkrams bezeichnet. Es mangelt an Budget, man dringt nicht mehr zur TOP-Ebene durch, die eigenen Instrumente sind stumpf. Das ist eine Folge mangelhafter Führung in Politik und Wirtschaft. Sie lädt den Druck oft nach unten ab.
Hätte man die Führungsverantwortung im Hinblick auf Nachhaltigkeit ernst genommen, wäre es wohl kaum zu der heutigen Lage gekommen. Umso mehr gilt jetzt, dass sich Europa zu einer eigenen extraterritorialen Souveränität bekennen. Die zukünftige Souveränität der EU entscheiden nicht Wehrkundetagungen, sondern Nachhaltigkeitsstrategien.
CO₂-Grenzausgleich, die Sorgfaltspflichten in Lieferketten und Nachhaltigkeitsziele sind, neben anderen, vor allem Instrumente geopolitischer Selbstbehauptung. Sie schützen strategische Technologien. Die EU geht den falschen Weg, indem sie diese Regelwerk kaputt-stutzt. Die als Omnibus-Verfahren bekannte Eingrenzung der Regeln ist töricht. Sie schadet der Wettbewerbsfähigkeit. Sie verzwergt die europäische Politik. Was wir im Gegenteil brauchen, ist die konsequente Umwandlung von bisher buchhalterisch konzipierten zu daten- und leistungsgeführten Instrumenten mit digitalen Komponenten. Endlich muss beherzigt werden, dass das ein Geschäftsfeld ist und nicht bloss buchhalterische Liebhaberei.
Im Bunde mit der Natur, nicht gegen sie
Hier ist ein besonders ärgerliches Beispiel für das Laissez-faire der Führungsverantwortung. US-Interessen untergraben die Investition in naturbasierte Klimalösungen, um den sich abzeichnenden Markt für das sogenannte Carbon Removal alleine mit teuren High-Tech-Verfahren zu beherrschen. Mit Carbon Removal soll CO₂ aus der Erdatmosphäre wieder entfernt werden. Es ist quasi so etwas wie eine Klima-Sanierung. Angesichts des schleppenden und fossil-hintertriebenen Klimaschutzes ist das aus meiner Sicht auch nötig, ebenso wie die Anpassung an Klimafolgen.
Klimaschutz muss jetzt alle Register ziehen, auch die unangenehmen. Die Zeit des Cherry-Picking ist vorbei, in der man meinte, sich auf die vermeintlich „besten“ Maßnahmen beschränken zu können. Zum Klimaschutz durch Biodiversität gehören Maßnahmen in Wäldern, Mooren, Ackerböden und Grünland und Mangroven. Zuverlässige und glaubwürdige Verfahren sind möglich und längst praktiziert. Sie können durch geeignete Treuhand-Mechanismen für die deutsche Wirtschaft in der Breite zugänglich gemacht werden. Der Ausschluss der Naturlösungen durch unerfüllbare Maximalforderungen (die, nebenbei gesagt, für die Techlösungen nicht gelten) liegt nicht im strategischen Interesse Europas und Deutschland, und es wird zeit für die höchste Ebene, diese Interessen selbst zu erkennen und dann auch durchzusetzen. Letztlich aus einem einfachen, schnell überschaubaren und für jeden (Wähler, Käufer) verständlichen Grund: Nachhaltigkeit ist der Prüfstein geopolitischer Reife.
Der Beitrag basiert auf der Panel-Teilnahme des Autors bei dem ACCENTURE Gleisgespräch „Geopolitik und Nachhaltigkeit“ am 15. Oktober 2025 in Berlin.
